LENTOS-MUSEUM Linz zeigt: „MÄDCHEN*SEIN“ – Rollenbilder zwischen Heiligenikonografie und Selfies!

AUSSTELLUNG MÄDCHEN*SEIN „Mädchen*sein im Blick – zwischen Verletzlichkeit und Selbstbehauptung. Foto: Walkobinger“Foto: ©Violetta-Wakolbinger

Unlängst besuchte ich die Ausstellung „Mädchen*sein!?“* – ein Titel, der zunächst Fragen aufwarf. Geht es um Mädchen? Um Rollenbilder? Ich ließ die Werke wirken, schlenderte durch die Räume, und beim zweiten Durchgang begann das Nachdenken: Mädchen*sein* erscheint hier als Wechselspiel zwischen kunsthistorischer Tradition und aktueller Gesellschaftspolitik.

Heute sollen Mädchen stark, selbstbewusst, sexy, schlau, schlank, aufgeklärt, gebildet, familien- und berufsorientiert, heterosexuell, weiblich und zugleich cool und unabhängig sein. Ein Idealbild wie ein Korsett – glänzend, eng, kaum atmend.

Die Schieflage dieser Wahrnehmung zeigt sich in historischen Bildtraditionen: Heiligenbilder, Märchen, Legenden. Zwischen Heiligenikonografie und Selfies wird deutlich: Mädchensein* ist keine feste Rolle, sondern ein ständiges Aushandeln.

Besonders irritierend waren die Arbeiten von Iris Legendre (*1988, Versailles, lebt in London):

Das Foto der Künstlerin Iris Legendre: „Druck, Last, Schein“ – fotografische Interventionen, festgehalten von Christa Linossi.“
  • Ein altes Foto eines kleinen Mädchens mit Puppe, dessen Kopf von Nadeln durchstochen ist – verletzlich und präsent zugleich. Symbol für Druck? Für Schmerz? Für gesellschaftliche Erwartungen?
  • Eine Familienszene, in der das sitzende Mädchen in der Mitte mit schweren Steinen bedeckt ist – sichtbar bleiben nur Hände und Füße. Warum diese Last? Schutz, Bedrohung, Erfahrung? Die Steine wirken wie ein Bild für das Unsichtbarmachen, für die Schwere, die auf Mädchen* lasten kann.
  • Ein weiteres Foto zeigt drei Mädchen in weißen Kleidern, das mittlere ohne Gesicht, ersetzt durch einen Schein. Scheinheiligkeit?

Diese Arbeiten bleiben Rätsel, Frage Bilder, die nicht loslassen.

Auch Lucy Glendinning (*1964, Großbritannien) provoziert: Ein Baby, gekreuzigt an der Wand, umrankt von Weinreben. Aufschrei? Symbol für die Last des Lebens von Geburt an? Fragen, die offen bleiben.

Die Arbeit der Künstlerin Lucy Glendinning: Geburt als Kreuzweg: Ein Baby hängt wie gekreuzigt, umrankt von Weinreben. Ist dies ein Aufschrei gegen die Last des Lebens von Anfang an? Foto: © Christa Linossi

Neben den irritierenden Positionen der Ausstellung steht das Werk „Der Faun und das Mädchen“ von Wolfgang Hutter (1928–2014, Wien), einem Mitbegründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Diese Bewegung ist bekannt für traumhafte Bildwelten, symbolische Figuren und eine detailreiche, oft surreal anmutende Malweise. Hutters Arbeiten verbinden Mythologie, Märchen und persönliche Visionen zu poetischen Szenarien, die zwischen Realität und Imagination oszillieren.

Das Werk des Künstler Wolfgang Hutter: ‚Der Faun und das Mädchen‘ – Mythos und Begegnung. Foto: © Christa Linossi“

In „Der Faun und das Mädchen“ greift Hutter die Figur des Fauns auf – ein Mischwesen aus Mensch und Tier, Symbol für Natur, Fruchtbarkeit und Trieb. Doch statt ihn als lüsternen Waldgeist darzustellen, verwandelt Hutter den Faun in ein baumartiges Wesen, das mit der Umgebung verwurzelt scheint. Das Mädchen steht ihm gegenüber, als Kontrast oder Spiegel – vielleicht als Eva, vielleicht als Muse, vielleicht als selbstbestimmte Figur im Dialog mit dem Mythos.

Die Szene wirkt wie ein modernes Paradiesbild, das nicht verführt, sondern fragt: Was bedeutet Weiblichkeit im Spannungsfeld von Natur, Mythos und Selbstbild?

Die Ausstellung spannt einen weiten Bogen: von frühen Repräsentationen bis zur heutigen Selbstbebilderung im digitalen Zeitalter. Sie ist gegliedert in Kapitel wie Mädchensein, Geschichten erzählen, Arbeiterinsein, Porträtiert werden, Sad girls, Rebellinsein, Grow it – show it, Pionierinsein.

Besonders gelungen: „Das Zimmer“, ein Raum für Experimente, Workshops und kollektive Interventionen, etwa mit Schüler*innen im Februar 2026.

Die Ausstellung „Mädchensein!?“ im Lentos Museum ist mehr als eine Schau über Rollenbilder – sie ist ein Spiegel gesellschaftlicher Erwartungen und zugleich ein Fragenraum. Zwischen historischen Bildtraditionen und zeitgenössischen Interventionen entfaltet sich ein Panorama von Verletzlichkeit, Last und Selbstbehauptung. Werke wie jene von Iris Legendre oder Lucy Glendinning irritieren und provozieren, während Wolfgang Hutter mit seinem phantastischen Realismus einen mythologischen Dialog eröffnet.

Am Ende bleibt: Mädchensein ist keine feste Rolle, sondern ein ständiges Aushandeln – zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Fremdbild und Selbstdefinition. Die Ausstellung macht diese Spannungen sichtbar und lädt Besucher:innen ein, sich selbst darin zu erkennen.

Sie ist klar strukturiert, mit präzisen Kapiteltexten versehen – und unbedingt sehenswert.