Reflexion über Technologie und Herdenverhalten in Bad Ischl 2024

Remote Bad Ischl ist eine ungewöhnliche Stadtführung Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 Foto: © Christa Linossi 2024

Remote Bad Ischl ist eine ungewöhnliche Stadtführung. Sie wurde von der Berliner Künstlergruppe Rimini Protokoll konzipiert und realisiert. Das Kollektiv entwickelt Bühnenstücke, Interventionen, szenische Installationen und Hörspiele, oft in Zusammenarbeit mit Expert*innen, die ihr Wissen und Können jenseits des Theaters erprobt haben.

Wem folgen wir, wenn wir uns von einem Computerprogramm leiten lassen? Die Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 lud die Künstlergruppe Rimini Protokoll ein, einen ungewöhnlichen Stadtrundgang durch Bad Ischl zu realisieren.

Ich habe an einer außergewöhnlichen Stadtführung teilgenommen und möchte darüber berichten. Die Audiotour dauerte ungefähr 90 Minuten und führte zu Fuß durch Bad Ischl. Angeleitet von einer künstlichen Stimme, wurden wir zu Experimenten angeregt: Wie treffen wir gemeinsam Entscheidungen? Wem folgen wir? Die künstliche Intelligenz beobachtete aus der Ferne menschliches Verhalten, während ihre Stimme mit jedem Schritt vertrauter wurde. Unterwegs belebten Kunstkopfaufnahmen und filmische Kompositionen die städtische Umgebung.

Wir erhielten Kopfhörer und folgten einer synthetischen Stimme, die uns durch Bad Ischl leitete.

Am Anfang stand der Stadtfriedhof von Bad Ischl, was ich zunächst makaber fand. Eine Stimme im Ohr erläuterte, dass hier Menschen ruhen, die einst lebten und nun begraben, unsichtbar und ungreifbar sind. Sie instruierte uns, über den Friedhof zu schlendern, jedoch nicht zu weit, und einen Grabstein auszuwählen, den wir für uns selbst wünschen würden. Es ist faszinierend, wie die Künstlergruppe Rimini Protokoll das Thema Tod und Erinnerung in ihre Führung integriert.

Dann verließen wir den Friedhof und begaben uns auf einen Parkplatz. Wir stellten uns im Kreis auf und beobachteten einander. Wie reagierten wir? Verschieden? Zurückhaltend? Selbstsicher? Es schien mir, als wäre alles in Bewegung, und jeder beobachtete den anderen, sei es bewusst oder unbewusst.

Die Aufforderung der Stimme, das Tempo zu erhöhen und sich zu gruppieren, ähnelt in der Tat dem Verhalten einer Herde. Es ist faszinierend zu sehen, wie wir in solchen Momenten agieren und wie eine künstliche Stimme unsere Aktionen steuern kann.

Es glich einem Herdentrieb. An einer Kreuzung mit zwei Rückspiegeln hielten wir an und positionierten uns so, dass wir im Spiegel sichtbar waren. Die Aufforderung, unsere Handys zu zücken und den Spiegel zu fotografieren, regt zum Nachdenken an. Es könnte eine Reflexion über unsere Selbstwahrnehmung und die Darstellung unserer selbst in der digitalen Welt sein.

Der Marsch setzte sich fort und führte uns über eine Straße, durch einen Park, eine weitere Straße entlang und schließlich zur Kirche. Dort sollten wir eintreten, also nahmen wir Platz und warteten auf neue Anweisungen. Unsere Gruppe spaltete sich in zwei Teile, und wir sammelten uns erneut vor der Kirche. Immer wieder erhielten wir Anweisungen, die uns durch die Stadt zu verschiedenen Gebäuden, Parks oder über bunte Zebrastreifen leiteten. An einem Punkt sollten wir eine Demonstration durchführen, was wir auch umsetzten. Als Höhepunkt des Tages führte der Weg unsere Gruppe auf den Kalvarienberg, wo wir etwa 100 Stufen erklommen. Oben angekommen, machten wir ein Gruppenfoto, bevor sich die Gruppe auflöste.

Ende der ungewöhnlichen Stadtführung am Kalvarienberg von Bad Ischl / Remote Bad Ischl Foto: © Christa Linossi 2024

Mein Kommentar zu dieser merkwürdigen Wanderung: Wir Menschen lassen uns von unverständlichen Informationen verleiten, ähnlich einer Schafherde, was zum Nachdenken anregen sollte. Ist das nicht auch ein Thema für die Psychologie?

Diese Führung zeigt auch, dass wir tatsächlich in einem Zeitalter der digitalen Informationsüberflutung angekommen sind, in dem wir oft unbewusst von Algorithmen und künstlicher Intelligenz beeinflusst werden. Die Frage der bewussten Reflexion darüber, wie wir Informationen aufnehmen und verarbeiten, ist äußerst relevant.

Die Abhängigkeit von Mobiltelefonen und der ständige Zugang zu Informationen können dazu beitragen, dass wir weniger Zeit für tiefgehende Diskussionen und Reflexionen aufwenden. Es ist wesentlich, sich der Verteilung unserer Zeit und Aufmerksamkeit bewusst zu sein und zu erkennen, welche Rolle Technologie dabei einnimmt.

Es ist faszinierend zu bedenken, dass wir uns gelegentlich wie eine Herde benehmen. In der digitalen Welt können Trends und Meinungen rasch viral werden, und es ist wesentlich, kritisch zu reflektieren, ob wir uns lediglich mitreißen lassen oder ob wir bewusste eigene Entscheidungen fällen.

Vielleicht ist es ratsam, dass wir uns häufiger Zeit nehmen, um innezuhalten und zu reflektieren. Es ist wichtig, sich bewusst zu werden, wie wir Informationen verarbeiten und welchen Einfluss sie auf unsere Gedanken und Handlungen haben. Der Diskurs und der Austausch verschiedener Sichtweisen sind dabei äußerst wertvoll.

Das erscheint als eine faszinierende Erfahrung. Die Vorstellung, Menschen durch eine Stadt zu leiten und ihre Reaktionen zu beobachten, ist wirklich außergewöhnlich. Es wirkt so, als ob die Künstlergruppe Rimini Protokoll absichtlich mit unserer Wahrnehmung und unserem Verhalten experimentiert. Es handelt sich um eine einzigartige Erfahrung, die zum Nachdenken über unsere Interaktion mit der Technologie und mit anderen Menschen anregt.

Als Leserinnen und Leser meines Blogs ermutige ich Sie, sich an dieser Tour zu beteiligen, falls Sie Ihren Sommer in Bad Ischl, der Kulturhauptstadt Europas 2024, verbringen. Weitere Informationen finden Sie auf der offiziellen Webseite. https://www.salzkammergut-2024.at/projekte/remote-bad-ischl/

Sollten Sie Interesse an dieser eigenartigen Führung haben, sie findet noch bis 28. Juli 2024 statt.

Xenia Hausner: Internationale Künstlerin und ihre Skulptur „Atemluft“

EINE BERÜHRUNG – ENTRÜCKT UND DOCH GANZ NAH

Vorschau im neuen Tab

Skulptur von Xenia Hausner „Atemluft“ in Bad Ischl Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 Foto: © Christa Linossi 2024

Xenia Hausner, die Tochter des vor 25 Jahren verstorbenen renommierten Malers Rudolf Hausner, ist in seine Fußstapfen getreten. Er war ein Mitbegründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Seine bekanntesten Werke, „Adam“ und „Odysseus“, wurden weltweit ausgestellt.

Sie gilt als international renommierte Künstlerin, Malerin und Bühnenbildnerin, die eine enge Verbindung zum Salzkammergut hat. Ihre dynamischen, großformatigen Frauenporträts mit ausgeprägten Mustern sind weltweit bekannt. 

Künstlerin Xenia Hausner Ausstellung Photo 2021 im Stadtgarten Gmunden, Foto: © Rudi Gigler

Über Ihr neues Projekt in Bad Ischl:

Skulptur von Xenia Hausner „Atemluft“ in Bad Ischl Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 Foto: © Christa Linossi 2024

Mit „Atemluft“ hat sie erstmals eine Skulptur geschaffen

Skulptur von Xenia Hausner „Atemluft“ in Bad Ischl Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 Foto: © Christa Linossi 2024

Im Kontext der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024 enthüllt die weltweit anerkannte Künstlerin, Malerin und Bühnenbildnerin Xenia Hausner ihre erste skulpturale Arbeit im öffentlichen Raum, betitelt „Atemluft“. Die drei Meter hohe Skulptur aus Aluminium und Bronze thematisiert gesellschaftliche und existenzielle Herausforderungen unserer Epoche.

Skulptur von Xenia Hausner „Atemluft“ in Bad Ischl Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 Foto: © Christa Linossi 2024

Der Platz ist gut gewählt, hier herrscht Autoverkehr und ihre Skulptur „Atemluft“ ist ein sinnliches Bild, wie eine dunkle Wolke lastet die schwere Sauerstoffflasche auf dem Kopf der schreienden Frauenfigur. Der Verdrängungshaltung unserer Gesellschaft wird der Spiegel vorgehalten – in der hochglanzpolierten Oberfläche der Skulptur sehen wir das Spiegelbild unserer selbst, in dem wir uns als Täter*in und Opfer wiedererkennen.

Es symbolisiert die Verzweiflung, den Kampf um das, was wir zum Leben brauchen. Was bleibt? Was verlieren wir? Was haben wir aufs Spiel gesetzt? Eine Berührung – weit weg von uns und doch so nah.

Sie drückt mit Nachdruck und großer Bestürzung den Zynismus und den fehlenden Realitätssinn aus, der sich im Umgang mit unseren schwindenden Ressourcen zeigt.

Besucher: innen der Kulturhauptstadt Bad Ischl sollten es nicht versäumen, die Skulptur von Xenia Hausner zu betrachten. Diese wird bis Ende November 2024 auf dem Bahnhofsplatz ausgestellt sein.