Gregory Crewdson Retrospektive: Rätselhafte Inszenierungen der amerikanischen Fotografie

Gregory Crewdson
Untitled, From the series: Twilight, 1998-2002
Digital pigment print
The ALBERTINA Museum, Vienna – Permanent loan, Private Collection © Gregory Crewdson

Die Albertina präsentiert eine Retrospektive des amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson (*1962, Brooklyn), der zu den international renommiertesten Fotografen zählt.

Vor der Kulisse amerikanischer Kleinstädte und auf Filmsets entwirft Crewdson seit Mitte der 1980er Jahre wie ein Regisseur technisch brillante und farblich reizvolle Inszenierungen, die menschliche Einsamkeit und gesellschaftliche Abgründe thematisieren. Die rätselhaften Szenen werfen selbstreflexiv die Frage nach der Grenze zwischen Fakt und Fiktion auf, lassen sich aber auch mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Verbindung bringen.

Der Rückblick in der ALBERTINA umfasst insgesamt neun Werkgruppen, die in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten entstanden und seriell angelegt sind.

Ich möchte Ihnen hier ein oder zwei Fotoarbeiten zeigen, die mich angesprochen haben und die ich so beschreibe, wie ich sie sehe. Vielleicht sehen Sie die Arbeit mit anderen Augen.

Gregory Crewdson
Untitled, From the series: Twilight, 1998-2002
Digital pigment print
The ALBERTINA Museum, Vienna – Permanent loan, Private Collection © Gregory Crewdson

Gregory Crewdson Untitled, From the series: Twilight, 1998-2002 zog mich sofort in seinen Bann, weil es eine Szene mit einem bizarren und ungewöhnlichen Ereignis zeigt. Der Lichtstrahl, der auf die Person vor der Haustür gerichtet ist, sieht übernatürlich aus und enthält vielleicht Anzeichen außerirdischen Lebens? Was bedeutet dieser Lichtstrahl, fragt sich die Person, die in diesem Licht gefangen ist? Sind Außerirdische hinter ihm her? Handelt es sich um ein neues Testverfahren mit futuristischer Technik, um in Zukunft von Raumstationen im All aus den Menschen auf der Erde zu überwachen? Fragen über Fragen stellen sich und man kann es nicht entschlüsseln. Oder hat die Person, die hier im Rampenlicht steht, eine Obsession? Was ist eine Obsession? In der Psychologie spricht man von einer Zwangsvorstellung oder einer Zwangshandlung, die mit Angst verbunden ist.

Allein dieses Bild wirft eine Frage nach der anderen auf. Das ist das Spannende an diesem Werk. Gregory Crewdson ist auch dafür bekannt, dass er hinter den Kulissen spektakuläre Beleuchtungs-, Rigging- und Set-Designs einsetzt, um den Eindruck von Realismus zu vermitteln, obwohl seine Bilder inszeniert sind. Die Twilight-Reihe hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen und inspiriert weiterhin Künstler, Designer und Filmemacher auf der ganzen Welt.

Eine weitere Fotoarbeit, die ebenfalls viele Fragen aufwirft, ist die Arbeit STARKFIELD LANE aus der Serie „Eclipse of Moths“, zu der es auch einen Videoclip gibt. https://youtu.be/Gf0SR6Hnb_g (Video trägt zur Klärung bei)

Gregory Crewdson
Starkfield Lane, From the series: An Eclipse of Moths, 2018-2019
Digital pigment print
The ALBERTINA Museum, Vienna – Permanent loan, Private Collection © Gregory Crewdson

Was wir auf dem Bild sehen, ein offenes Auto, eine umgestürzte Straßenlaterne und den Lieferwagen mit den heruntergefallenen Computern im Hintergrund, könnte auf einen Verkehrsunfall oder einen Überfall auf den Lieferwagen hindeuten.  Der flüchtende Kombi?

Die offene Autotür könnte aber auch ein Hinweis darauf sein, dass der Mann gerade ausgestiegen ist, um die ungewöhnliche Szene zu beobachten. Er steht nun zwischen dem Auto und der Straßenlaterne und könnte ebenfalls ein Zeuge sein, oder der Mann und die Frau könnten unwissentlich in das Geschehen verwickelt sein. Die Frau im ersten Stock des Hauses könnte eine Zeugin sein, die beobachtet, was passiert. Was ist geschehen? Diese Szene gibt Rätsel auf.  

Es ist ein typisches Bild für den Künstler Gregory Crewdson. Er hat diese Szene neu inszeniert, um ein Bild zu schaffen, das Fragen aufwirft und den Betrachter in seinen Bann zieht. Vielleicht ist die Darstellung ein Spiegel des Unbewussten und der Psyche als sprachlicher Ausdruck verdrängter Ängste und Traumata.  

Gregory Crewdson zählt zu dem international renommiertesten Fotografen: innen der Gegenwart. Seit Mitte der 1980er Jahre inszeniert Crewdson wie ein Regisseur vor amerikanischen Kleinstadtkulissen und Filmsets rätselhafte Szenen, die als psychologische Vermessung der Gesellschaft verborgene Ängste, Sehnsüchte und Abgründe sichtbar machen.

Die Ausstellung in der ALBERTINA Wien läuft noch bis 08. September 2024

https://www.albertina.at/ausstellungen/gregory-crewdson/