Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur

Interview mit dem aus Südtirol stammenden Künstler Ulrich Egger

Ulrich Egger wurde 1959 in St. Valentin auf der Haide in Südtirol, geboren. Er studierte in an der Accademia di Belle Arti in Florenz. 1985 erhielt er sein Abschlussdiplom in Bildhauerei. Er lebt und arbeitet in Meran.

2016 lernte ich Ulrich Egger auf der Franzensfeste bei der Ausstellung „MODES OF DEMOCRACY – FORMEN DER DEMOKRATIE“ kennen. Aufgrund seiner dort ausgestellten Arbeiten – die mir nicht mehr aus dem Kopf gingen – habe ich den Kontakt zum Künstler hergestellt: Seine Kunst, die darin besteht, Fragmente von Interieurs, wie Türen oder Fenstern mit Bildern zu hinterlegen, die von zerstörten Gebäuden stammten. Das Schweigen und das Fehlen der Menschen bestimmen das Werk von Egger, das mit tiefem moralischem und künstlerischem Engagement den Zerfall und die Ruinen von einst aktiven und inzwischen verlassenen Orten untersucht. Weiteres interessiert sich der Künstler auch für das Verhältnis zwischen Kunst und Architektur.

Ein interessanter Künstler, dem man einfach Fragen stellen muss, um auch hinter die Kulissen schauen zu können:

Linossiartstory: Welchen Blick haben internationale Kunstschaffende auf den Kulturstandort Salzburg? Deshalb lädt die Kulturabteilung der Stadt Salzburg jährlich 6-8 internationale Kunstschaffende im Rahmen eines Artist-in-Residence Programmes ein. Die Künstler können so ihre individuelle künstlerische Position weiterentwickeln und nebenbei aktuelle Projekte erarbeiten. In der Veranstaltungsreihe „Artists Talk“ wird der Gastkünstler aus den jeweiligen Kunstbereichen präsentiert und ein Gespräch geführt über ihre vor Ort stattgefundenen Arbeitsprozesses.

Im März 2015 bist du als Gastkünstler für einen Monat in Salzburg gewesen. Meine Frage: inwieweit hat dich die Stadt Salzburg in deinem Arbeitsprozess inspiriert?  Was war dein Projekt? Zu diesem Zeitpunkt kannte ich dich noch nicht, bekam aber das Programm zum Artists Talk. Dies fand am 19. März 2015 statt. Die Moderation führte Elisabeth Schmirl.

Auf der Homepage von der Universität Salzburg UNIMOZART befindet sich ein Foto eines deiner Arbeiten mit dem Titel „dämmerung“ entstanden 2013

dämmerung, 2013. © Ulrich Egger

dämmerung, 2013. © Ulrich Egger

Ulrich Egger:  Ich war schon vor meinem Aufenthalt als Artist-in-Residence ein paar Mal in Salzburg und kannte daher schon die Stadt. Diesmal allerdings dauerte mein Aufenthalt in Salzburg vier Wochen und ich konnte so in den Alltag der Stadt eintauchen. Lange Spaziergänge, Bücher lesen, Kinoabende, Buchvorstellungen und Lesungen im Literaturhaus füllten meine Zeit in Salzburg aus. Ich war viel mit meinem Fotoapparat unterwegs und im Atelier im Künstlerhaus, wo ich untergebracht war, habe ich mich mit Bleistiftzeichnungen beschäftigt. Alles, was ich in Meran und in meinem Atelier meistens vernachlässigte, konnte ich in Salzburg nachholen. Der Aufenthalt war also eine Meditations- und Erholungszeit und eine wichtige Inspirationsquelle, die mir gut getan hat.

Linossiartstory:  gehört die Arbeit „dämmerung“ auch zu der Serie Casa Goldstein 2013? Meine Frage zu der Serie Casa Goldstein; worum geht es bei diesen Fotografien. Es sind Aufnahmen von leeren Räumen, in denen die Wände unansehnlich sind, am Fußboden fließt Wasser, die Räume in einem desolaten Zustand? Was willst du damit ausdrücken?

„casa Goldstein“ 2013 © Ulrich Egger

„casa Goldstein“ 2013 © Ulrich Egger

Was beschäftigt dich bei diesen Räumen? Räume die einmal bewohnt wurden, dann herabgekommen sind oder handelt es sich um Räume (Häuser) die in sich verfallen, weil sie von den Bewohnern aus welchen Gründen immer, verlassen wurden? Verlassenschaft, Abbruchreif…?

Ulrich Egger: Die Frage ist gleichzeitig die Antwort. Bei meinen Streifzügen mit der Kamera durch Städte, Landschaften und Dörfern finde ich immer wieder Objekte, die mich besonders ansprechen. In diesem Fall habe ich ein kleines Haus, erbaut um die Jahrhundertwende vorgefunden, das völlig unter Wasser gesetzt wurde. Ich bin in flagranti in das Haus eingestiegen und habe es in einem sehr desolaten Zustand vorgefunden. Beeindruckend war die Nässe, alles stand unter Wasser, und die Wassertropfen, die von der Decke fielen, sorgten für eine seltsame Stimmung. Ich bin anschließend auf das Grundbuchamt gegangen, um mich über die Besitzer zu informieren. Völlig unerwartet stieß ich auf einen Herrn Goldstein, dessen Geschichte ich leider nicht ausfindig machen konnte. Es könnte sein, dass er zu Kriegszeiten in die Vereinigten Staaten ausgewandert, oder wie Millionen von Juden umgekommen ist. Umso mehr hat mich diese Situation beeindruckt, so dass ich eine ganze Serie von Ablichtungen von diesem partikulären Haus angefertigt habe. Eine Hommage an diesen unbekannten Herrn Goldsdtein. Das Haus wurde dann bald danach abgerissen und inzwischen steht ein nichtssagende kleines Apartmenthaus.

Wie du richtigerweise schreibst, interessieren mich speziell Räume, die einmal bewohnt waren oder Räume, die als Orte oder Nichtorte definierbar sind.

Die Geschichte meiner Bilder spielt sich nicht an der Oberfläche ab, sondern in ihrer Tiefe. Hineinsehen und Unsichtbares sichtbar machen, ist der Sinn meiner Arbeiten.

Linossiartstory:  Interessant ist auch, mit welchen Fragmenten du arbeitest. Z.B. alte Fensterrahmen, die im Hintergrund Fotografien entweder ein Gebirge verbergen oder Ansichten von alten Häusern hervorbringen. Bedeutet dies für dich als Blick hinaus in die Landschaft, in eine Straße oder was willst du damit dem Betrachter vermitteln. Blick Outdoor – Indoor ?

© Ulrich Egger

Palermo 2016 © Ulrich Egger

 

urban dream 2013 © Ulrich Egger

urban dream 2013 © Ulrich Egger

Ulrich Egger: Wenn sich die Kamera auf die Atmosphäre der Innenräume konzentriert, stößt sie auch auf Fensteröffnungen, die die Räume je nach Tageszeit ausleuchten. Der Lichteinfall lässt die Räume zu einer kalten, unheimlichen und abstrakten Atmosphäre erstarren.

Die Außenaufnahmen hingegen spielen mit der Zusammensetzung von unwahrscheinlichen natürlichen und urbanen Landschaften. Dieses fotografische Rohmaterial ist die “materia prima” meiner Werke, die wiederum nicht anhand ihrer Oberfläche wahrzunehmen sind, sondern subjektive Emotionen durch die künstlerische Form ausdrücken. Sie stellen die Welt nicht nur in ihrer Erscheinungsform dar, sondern geben Erfahrungen und Erlebtes wieder.

Die Fensterrahmen sind für mich ideale Materialien, die ich in meinen Fotoobjekten einbaue. Sie haben archetypische Verankerungen. Sie sind Bilder, die jeder in sich trägt, jeder kann eigene Vorstellungen daraus entwickeln.

Linossiartstory:  Eine andere Installation, ebenfalls aus Fensterrahmen-Fragmenten die du schräg auf den Boden gestellt hast und beleuchtet wurden. Spielen hier Licht und Schatten eine Rolle oder sind diese nur untergeordnet Rolle?

dämmerung 2013 © Ulrich Egger

dämmerung 2013 © Ulrich Egger

Ulrich Egger: Diese Bodeninstallationen sind z.T. Zufallsobjekte und können je nach Ausstellungssituation angepasst werden. Einige der wichtigsten Aspekte bei all meinen Arbeiten sind das Licht und der Schatten und das Verhältnis zueinander. Sie verleihen dem Werk die Plastizität, die ich als Bildhauer der Arbeit abverlangte. In all meinen Arbeiten, sowohl bei den dreidimensionalen Arbeiten als auch in den Fotowerken lege ich großen Wert auf Tiefe, starke Plastizität und Raumwahrnehmung.

Durch die Überschneidungen und Durchdringungen der Materialien der am Boden sich befindenden Skulptur entsteht ein aktiver Dialog zwischen Innen und Außen. Es entsteht eine Art mentale Barriere, die aber durch das Licht überwunden werden kann.

Linossiartstory:  Was bedeutet Kunst für dich persönlich?

Ulrich Egger: Was für mich Kunst bedeutet, ist sehr schwierig zu definieren. Ich glaube, Kunst hat mit großer Professionalität, Kontinuität, Ausdauer, Neugier und unermüdlichem Einsatz zu tun. Das alles zusammen macht für mich Kunst aus.

Linossiartstory:  Welche Erfahrungen beeinflussen deine künstlerische Arbeit?

Ulrich Egger: Vieles denke ich, bringt man aus seiner Kindheit mit, aus dem Umfeld, in dem man groß geworden ist. Seit vielen Jahren beeinflussen auch meine Reisen die künstlerischen Arbeiten.

Linossiartstory:  Wo holst du dir die Ideen zu deinen Arbeiten?

Ulrich Egger: Ich arbeite sehr viel und verbringe fast jede Minute meiner Freizeit in meinem Atelier. Ich denke, dass das viele Experimentieren neue Ideen hervorbringt. Natürlich ist mein Bildarchiv eines der wichtigsten Ideengeber, darin kann ich zu jeder Zeit blättern und je nach Gefühl und Laune Eindrücke entnehmen und verarbeiten.

Linossiartstory:  Welches Interesse verfolgst du in deiner Kunst?

Ulrich Egger: Ich bin ein Suchender. Ich verfolge alles, was mir interessant erscheint, und wenn es nur eine kurze Begegnung mit einem Unbekannten ist.

Linossiartstory:  Was wäre dein Leben ohne Kunst..?

Ulrich Egger: Das kann ich mir nur schlecht vorstellen. Sicher langweilig und nicht ausgefüllt.

Linossiartstory:  Welcher Gegenstand ist aus deinem Atelier nicht wegzudenken?

Ulrich Egger: Meine wichtigsten „Geräte“ sind natürlich meine Fotoapparate.

Linossiartstory:  Woran arbeitest du zurzeit?

Ulrich Egger: Ich arbeite nicht so wie viele Künstler an einzelnen Projekten, ich arbeite immer gleichzeitig an vielen verschiedenen Ideen. Zurzeit arbeite ich an klein- und mittelformatigen Fotoarbeiten, wo es um Großstädte und Berglandschaften geht.

Linossiartstory: Eine letzte Frage muss ich dir noch stellen: kannst du beschreiben, was gute Kunst für dich ist?

Ulrich Egger: Gute Kunst – denke ich – sollte eine starke Aura in sich tragen und den Betrachter zum Denken und Reflektieren anregen. Kunst muss schmerzhaft sein!

 

https://ulrichegger.wordpress.com/about/

 

 

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