„Nie wieder Frieden?“ – Der „steirische herbst“ stellt die Frage, die niemand hören will!

Intendantin und Chefkuratorin, Ekaterina Degot, Pressekonferenz im BAU am 24.6.25, Foto: steirischer herbst / Johanna Lamprecht

„steirische herbst“ stellt die Frage, die niemand hören will!

Europa rutscht – politisch, sprachlich, emotional. Zwischen Eskalation, Sprachverwirrung und historischen Wiederholungen steht der steirische herbst 2025 mit einem Titel, der unbequem klingt: „Never Again Peace“. Was auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt, entfaltet im Kontext des Festivals eine beklemmend aktuelle Wucht.

Der steirische herbst 2025 fragt radikal: „Nie wieder Frieden?“ – Kunst als Antwort auf Faschismus, Kriege und den Zerfall demokratischer Sprache.

Auch 2025 bleibt der steirische herbst ein Festival mit politischem Anspruch. Als international ausstrahlendes Produktionsfestival ist er fest in Graz und der Steiermark verwurzelt. Im Zentrum steht künstlerisches Schaffen, das gesellschaftspolitische Fragen kommentiert, Debatten anstößt und sich disziplinübergreifend mit der Gegenwart auseinandersetzt.

Die 58. Ausgabe trägt den Titel „Never Again Peace“ – entlehnt dem Theaterstück Nie wieder Friede (1934–36) des deutsch-jüdischen Autors und Antifaschisten Ernst Toller. Die bittere Komödie behandelt Militarismus und Antipazifismus. Sie entstand in einer Zeit, in der Europa dem Faschismus verfiel. Das Thema wirkt heute erschreckend aktuell.

Toller, einst Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, wurde durch seine Kriegserfahrungen zum Pazifisten. Seine Werke wurden weltweit gespielt – von Moskau bis Sydney. Nie wieder Friede kehrt den pazifistischen Slogan „Nie wieder Krieg“ ins Gegenteil und stellt die Frage: Was bleibt vom Friedensversprechen angesichts all des Blutvergießens?

Ein ikonisches Beispiel: Käthe Kollwitz’ Plakat von 1924, das den Ruf „Nie wieder Krieg!“ visualisiert – ein junger Mann mit erhobener Hand zum Schwur. Dieses Bild wurde zur Ikone der Friedensbewegung.

Doch heute wirkt das „Nie wieder“ zunehmend hohl. Institutionen, die nach 1945 gegründet wurden, um Krieg und Völkermord zu verhindern, zerfallen. Putins Russland rechtfertigt seinen Angriffskrieg mit dem Kampf gegen Faschismus. In Israel wird „Nie wieder ist jetzt“ zum Schlachtruf einer Regierung, die den Krieg gegen die Hamas auf die Zivilbevölkerung Gazas ausweitet.

Auch in Österreich zeigen sich Parallelen: Nach dem Wahlsieg der rechtspopulistischen FPÖ sind kulturelle und zivilgesellschaftliche Einrichtungen von Budgetkürzungen betroffen. Nationalismus, Bigotterie und migrationsfeindliche Politik erleben eine Renaissance.

Ein Zitat von Michail Gorbatschow mahnte bereits 2017 in seinem gleichnamigen Friedensappell: *„Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg!“ Der Friedensnobelpreisträger forderte darin ein weltpolitisches Umdenken und warnte eindringlich vor einem Rückfall in nationalstaatliches Denken und militärische Eskalation. *Michail Gorbatschow: „Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg!“, Benevento Verlag, Wals 2017. In seinem Friedensappell warnte der Friedensnobelpreisträger eindringlich vor einem Rückfall in nationale Machtpolitik und militärische Eskalation.

Der steirische herbst greift diese Entwicklungen auf – auch mit Blick auf die Sprache. Wie schnell sich Begriffe ins Gegenteil verkehren können, zeigten schon Toller und Orwell. Der Grazer Freiheitsplatz, mehrfach umbenannt, zuletzt 1938, wird am 26. Juni vom Künstler Ahmet Öğüt erneut symbolisch umbenannt – von Freiheitsplatz in Freiheitsplatz. Eine Intervention, die zum Nachdenken über den Begriff der Freiheit anregen soll.

Das Festivalzentrum entsteht heuer im Bezirk Gries, in der ehemaligen Destillerie Bauer – einem Ort voller Widersprüche: migrantisch geprägt, aber politisch rechts wählend. Für die Dauer des Festivals wird das Gebäude in BAU umbenannt – ein Wort mit vielen Bedeutungen: Bauwerk, Tierbau, Gefängnis. Die Ausstellung zeigt Arbeiten über Unterdrückung, Flucht, Freiheit und gesellschaftliche Zersplitterung.

Der Eröffnungsabend beginnt mit einer Audio-Performance des Kollektivs LIGNA am Freiheitsplatz. In der Helmut List Halle folgt eine neue Arbeit von Manuel Pelmuș und Frédéric Gies, inspiriert von Kurt Jooss’ Antikriegsballett Der grüne Tisch (1932). Danach lädt Ivo Dimchev mit einer genreübergreifenden Performance zur Eröffnungsparty.

Auch 2025 beteiligen sich zahlreiche Kulturinstitutionen und Künstler:innen aus Graz und der Steiermark mit eigenen Projekten – darunter das ORF musikprotokoll (2.–5. Oktober) und das Literaturfestival Out of Joint mit dem programmatischen Titel Ich krieg die Krise. Beiträge kommen unter anderem von Konrad Paul Liessmann, Franz Schuh und Robert Pfaller.

Der steirische herbst zeigt: „Kunst kann nicht schweigen, wenn die Welt brüllt“.