TARIK KISWANSON-Afterwards
Kunst zum Nachdenken!
Im Salzburger Kunstverein sind bis zum 10. September 2023 zwei interessante Ausstellungen zu sehen.
Zum einen zeigt die irische Künstlerin Aideen Barry im Kabinett unter dem Titel „The Song oft he Bleeding Tree“ eine Serie von Zeichnungen und eine 3-Kanal-Videoinstallation mit 4-Kanal-Sound. Aideen Barry ließ sich von ihren Forschungen in den UCD Folk Archives inspirieren, wo sie sich mit der irischen Tradition auseinandersetzt.

Eine beeindruckende und vielschichtige Installation mit neuen Arbeiten von Tarik Kiswanson ist im Großen Saal zu sehen. In poetischen skulpturalen und architektonischen Gesten werden Aspekte von Wurzellosigkeit, Regeneration und Erneuerung miteinander verbunden.
„The Song of the Bleeding Tree” von:
Aideen Barry (*1979) lebt und arbeitet in Irland, den Vereinigten Staaten und Europa. Ihre Ausdrucksmittel sind vielfältig. Dazu gehören Performance, Film und skulpturale Manifestationen. Der gemeinsame Nenner von Barrys Arbeiten ist der Versuch, mit Ängsten umzugehen. Dabei bedient sie sich visueller Tricks, um eine verstärkte Aufhebung der Realität zu erreichen.
Worum geht es in Aideen Barrys Arbeit? Es geht um die existenzielle Bedrohung des Planeten ERDE. In dieser Zeit großer Unsicherheit, des ökologischen Zusammenbruchs und der Aussicht auf eine Welt in der Endzeit untersucht Barry die Rolle der Kunst und der Künstler: innen. Der Leitgedanke, die letzte Generation von Künstler: innen zu sein, zieht sich wie ein roter Faden durch die vorliegende Arbeit.

Aideen Barry verbrachte viel Zeit mit Recherchen in den Irish Folk Archives des University College Dublin. Eine der Geschichten, die in den Archiven zu finden sind, ist ein Lied über den Baum oder über die Beziehung zu einem blutenden Baum. Menschliche und tierische Nachkommen auf die Wurzeln eines Weißdornbaums zu legen, ist eine irische Tradition.
Genau das zeigt das Video in einer Endlosschleife: den weinenden, Tränen vergießenden Baum inmitten einer dunklen, purpurnen, apokalyptischen Landschaft. Das Video zieht einen in seinen Bann, man spürt, wie der Baum blutet, wie sich die welken Blätter vor dem schwarzen Hintergrund noch einmal aufbäumen wollen. Im Hintergrund die zerstörte Landschaft, in blutendes Rot getaucht und von schwarzen Bergen umgeben. Der Baum, der eher einem Skelett gleicht, versucht vergeblich mit seinen Armen oder Zweigen eine Richtung zu geben. Die Musik im Hintergrund ergibt ein stimmiges, geheimnisvolles und trauriges Bild…
Dieses immersive Kunstwerk wird auf die Wände und den Boden des Kabinetts projiziert. Es ist eine Szenografie der Entfremdung und der Trauer über unsere Beziehung zur natürlichen Welt. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Stephen Shannon entstand die Klanginstallation.
„AFTERWARDS“ von:
Tarik Kiswanson (*1986) lebt und arbeitet in Paris. Er wurde im schwedischen Halmstad geboren, seine Familie emigrierte aus Palästina ins Exil. In seiner künstlerischen Praxis beschäftigt er sich mit der Poetik der Metamorphose. Sie ist eine Möglichkeit, zwischen verschiedenen Bedingungen und Kontexten zu schreiben und zu überleben. Seine breit gefächerte künstlerische Praxis kann als Kosmologie verwandter Begriffsfamilien verstanden werden. Tarik Kiswanson wurde für den Marcel Duchamp Preis 2023 nominiert.

Betritt man die große Halle des Salzburger Kunstvereins, in der die Arbeit von Tarik Kiswanson zu sehen ist, fällt der Blick zunächst auf ein großes, oval geformtes Objekt (es handelt sich um eine Kokonskulptur). Der Blick wandert weiter nach links, wo ein Stuhl steht, auf dessen Sitzfläche sich ebenfalls ein eiförmiges Objekt (eine Kokonskulptur) befindet. Eine riesige Spiegelfläche an der Rückwand lässt den Blick noch einmal aus einer anderen Perspektive durch den Raum schweifen. Dreht man sich um, steht ein weiterer Stuhl im Raum. Dieser ist als Kunstobjekt gestaltet. (Es handelt sich um einen Franz Schuster: Bicolor Stuhl von 1959) und in der Mitte des Raumes steht ein Objekt aus Kunstharz mit einer Flamme im Inneren oder korrekter „Respite, 2020“ Kunstharz, Kerze.
Der Betrachter oder die Betrachterin wird, wenn er oder sie den Kontext nicht kennt, Schwierigkeiten haben, diese Objekte zu verstehen, obwohl sie harmonisch im Raum stehen. Worum geht es dem Künstler eigentlich?

Im Zentrum der Arbeit von Tarik Kiswanson steht die Idee der Transformation. Es ist ein Weg der Veränderung. Dies geschah in Tariks früheren Arbeiten häufig unter dem Aspekt der Migration. Diese persönliche Erfahrung, die Sehnsucht nach Heimat – die jedoch eine instabile, von ständigen Konflikten und Besetzungen geprägte ist – klingt bis heute in seinen Werken nach und verdeutlicht sein ständiges Ringen um die eigene Identität.
Die Kokon-Skulpturen selbst sind natürlich aus der Faszination des Künstlers für die sublime Verwandlung einer Raupe in einen Schmetterling entstanden, die er in physischer Form mit Vorstellungen von Diaspora (= lebende konfessionelle oder nationale Minderheit), Wachstum, Entropie (= Entropie ist eine physikalische Größe, die die Unordnung in einem Teilchensystem beschreibt) und Werden parallelisiert.
Auch in diesen Werken ist eine gleitende Bedeutung zwischen Ei und Samen, zwischen Leben und Geburt und Tod zu erkennen. Die Skulpturen erscheinen an den Wänden wie außerirdische Hüllen, die sowohl an Science-Fiction-Geschichten als auch an geopolitische Realitäten erinnern. Wie ein Wesen, das sich in einen Kokon an den Wänden der Galerie eingesponnen hat, sind die Arbeiten größer, monumentaler und in ihrer Interaktion mit der Architektur freundlicher geworden.
Der Künstler beschäftigte sich auch mit dem Wiederaufbau der Nachkriegszeit, vor allem in Frankreich, Deutschland und Österreich. Dabei konzentrierte er sich auf das Mobiliar der Nachkriegszeit. Die in der Ausstellung gezeigten Stühle aus österreichischer Produktion, in Frankreich „mobiler sinister“ genannt, sind ein Beispiel für die Massenproduktion von Möbeln für die breite Bevölkerung: elegant, schlicht, pragmatisch und universell.
Der Künstler bezieht die Stühle bewusst in seine Arbeit ein. Er stellt diese Zeitlinie in den Mittelpunkt und spielt mit seinen Sorgen und Erfahrungen mit zeitgenössischer Migration, Flucht und den Schwierigkeiten der Wiederansiedlung. Als die Nachkriegsgesellschaft zusammenzubrechen drohte, taten sich Regierungen, Architekten und Designer zusammen, um den Wiederaufbau zu fördern.
Die verschiedenen Epochen der Geschichte und die geopolitischen Katastrophen, die das Leben unzähliger Menschen beeinflusst haben, sind für Tarik Kiswanson von großer Bedeutung. Was seine Eltern unmittelbar erlebt haben, spiegelt sich in seinen Werken wider und thematisiert ein breites Spektrum menschlicher Erfahrungen und Möglichkeiten.
Geboren im Exil, vermischt und geprägt von der Sehnsucht nach der fehlenden Heimat, blickt er hoffnungsvoll in die Zukunft.
Die Ausstellungen laden zum Nachdenken ein. Sie sind bis zum 10. September 2023 zu sehen.

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